Vom Überzeugen zum Verstehen: Warum echtes Zuhören so schwerfällt
Wir reden. Doch du sagst nichts. Du willst nicht kommunizieren, dich nicht austauschen. Du willst überzeugen, gewinnen. Von deiner Meinung. Ich bin müde, dir zuzuhören.
Oft beschleicht mich dieses Gefühl – im Familienumfeld, bei Freunden, auf der Arbeit. Statt des Eintauchens in andere Gedankenwelten, des intensiven Austauschs, um andere Sichten mit in das eigene Bild einfließen zu lassen, wird auf Teufel komm raus Überzeugungsarbeit geleistet. Nicht selten ohne echten eigenen Standpunkt.
Woher kommt dieses Verhalten? Sind wir von außen so konditioniert? Ist dieser ewige Wettkampf um das Siegertreppchen so wichtig geworden, dass wir nicht mehr in der Lage sind zuzuhören, ohne unser eigenes Weltbild dem anderen aufzudrücken?
Oder ist es Unsicherheit? Unsicherheit, wie der andere mich sieht, wenn ich einfach nur zuhöre. Ohne Gegenargumente, von denen ich selbst nicht überzeugt bin. Ohne triumphieren zu wollen, in einem Gespräch, ohne eine Performance abzuliefern, von der ich selbst nicht überzeugt bin?

Der ewige Wettkampf
Unsere Gesellschaft ist in vielen Bereichen auf Wettbewerb ausgelegt. Dieses Denken färbt auf unsere Kommunikation ab.
- In Politik, Talkshows und oft auch in Meetings wird eine Debatte als Kampf inszeniert, den es zu gewinnen gilt. Es geht darum, das stärkste Argument zu haben, den Gegner zu entlarven und am Ende als Sieger dazustehen. Zuhören, um zu verstehen, wird dabei als Schwäche oder Zögern interpretiert.
- Sowohl im Berufsleben als auch im Privaten herrscht oft der Druck, kompetent, entschieden und selbstsicher zu wirken. Ständig die eigene Meinung zu verteidigen, kann als Zeichen von Stärke und Führungsqualität missinterpretiert werden. Ein Gespräch wird so zu einer Performance, bei der man seine Rolle überzeugend spielen muss.
- Digitale Plattformen verstärken diesen Effekt. Kurze, prägnante und oft provokante Meinungen erhalten mehr Aufmerksamkeit als nachdenkliche, abwägende oder zuhörende Beiträge. Der Algorithmus belohnt die Lautesten, nicht die Verständigsten.
Die Festung der eigenen Meinung
Paradoxerweise ist der Drang zu überzeugen oft kein Zeichen von Stärke, sondern von tiefer liegender Unsicherheit. Denn für viele Menschen ist die eigene Meinung ein zentraler Bestandteil ihrer Identität. Ein Gegenargument wird dann nicht als andere Sichtweise wahrgenommen, sondern als persönlicher Angriff. Die eigene Meinung muss wie eine Festung verteidigt werden, weil man sonst das Gefühl hat, die eigene Identität zu verlieren.
Einfach nur zuzuhören, ohne sofort ein Gegenargument zu formulieren, kann beängstigend sein. Es erzeugt eine kurze Leere, in der man verletzlich scheint. Was, wenn mir nichts Kluges einfällt? Was, wenn der andere denkt, ich hätte keine eigene Meinung oder sei ihm unterlegen? Das schnelle „Ja, aber …“ ist oft ein Abwehrmechanismus gegen diese gefühlte Unsicherheit.
Die eigene Meinung zu hinterfragen oder gar zu ändern, erfordert Mut und die Bereitschaft, zuzugeben, dass man sich geirrt haben könnte. Das ist ein Akt der Verletzlichkeit. In einer Kultur, die Stärke oft mit Unfehlbarkeit verwechselt, ist es einfacher, stur bei der eigenen Position zu bleiben, auch wenn man innerlich zweifelt.
Die Echokammer: Informationsflut & kognitive Überlastung
Wir leben in einer Welt der ständigen Informationsüberflutung. Echter Dialog ist anstrengend und erfordert Konzentration und Energie.
Es ist einfacher und energiesparender, an bekannten Mustern und Meinungen festzuhalten, als sich auf neue, komplexe und möglicherweise widersprüchliche Informationen einzulassen. Das Gehirn neigt dazu, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.
Und dazu kommt ein Phänomen der Neuzeit: Algorithmen personalisieren unsere Nachrichtenfeeds und Suchergebnisse so, dass sie unsere bestehenden Ansichten bestätigen. Wir verlernen systematisch den Umgang mit abweichenden Meinungen und werden in unserem eigenen Weltbild immer wieder bestärkt. Treffen wir dann auf eine andere Sicht, fehlt uns die Übung und oft auch die Bereitschaft, uns damit auseinanderzusetzen.
Der Weg zurück zum Dialog
Sich dessen überhaupt erst einmal bewusst zu werden, ist der erste und wichtigste Schritt. Echter Dialog ist eine Fähigkeit, die man mit wenigen Schritten wieder kultivieren kann:
- Zuhören, mit der Absicht zu verstehen, nicht zu antworten.
- Neugierige Fragen stellen: „Warum siehst du das so?“, oder „Hilf mir zu verstehen, was dich zu dieser Ansicht bringt.“
- Stille aushalten: Pausen zulassen, anstatt sofort zu reagieren.
- Akzeptieren, dass man nicht immer einer Meinung sein muss, um eine Verbindung herzustellen.
In der Fähigkeit, wirklich zuzuhören, liegt meines Erachtens die wahre Stärke. Das ermöglicht nicht nur ein tieferes Verständnis für andere, sondern auch für sich selbst, und öffnet die Tür zu dem, was man sich wünschen: dem bereichernden Eintauchen in andere Gedankenwelten.
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